Vor dem Hintergrund veränderter gesellschaftlicher Bedarfe und zunehmend komplexeren Anforderungen an den Pflegeberuf kommt einer hochschulischen Qualifizierung von Pflegefachpersonen eine bedeutsame Rolle zu. Für die Bewältigung der Anforderungen an die Gesundheitsversorgung einer älter werdenden Bevölkerung werden neue und erweiterte Pflegekompetenzen auf wissenschaftlicher Basis benötigt, die nur im Rahmen eines Hochschulstudiums entwickelt werden können. Forschungsergebnisse belegen die Bedeutung der hochschulischen Pflegeausbildung für die Qualität der pflegerischen Versorgung.
Seit 2004 haben sich vor dem Hintergrund der damaligen Öffnungsklausel im Krankenpflegegesetz in 15 Bundesländern (Modell-) Studiengänge mit ca. 600 Studienplätzen in zumeist dualen Strukturen mit Pflegeschulen entwickelt. Im Rahmen der Novellierung des Berufegesetzes (PflBG) hat der Gesetzgeber ab 2020 erstmalig die Gelegenheit geschaffen, Pflege an Hochschulen und Universitäten primärqualifizierend zu studieren. Neue Studiengänge wurden entwickelt oder bisherige duale Studiengänge umgewandelt. Diese Entwicklung steht im Einklang sowohl mit der ausdrücklichen Zielsetzung der Konzertierten Aktion Pflege (KAP), die Anzahl der Studienplätze für eine hochschulische Pflegeausbildung bis Ende 2023 bundesweit deutlich zu erhöhen, als auch mit den Empfehlungen des Wissenschaftsrats, der eine Quote von 10-20 % hochschulischer Qualifikation eines Ausbildungsjahrgangs für sinnvoll erachtet.
Allerdings zeichneten sich im Laufe des Jahres 2020 im Bereich der primärqualifizierenden pflegerischen Studiengänge ein deutlicher Rückgang der angebotenen bzw. besetzten Pflegestudienplätze ab. So waren an vielen Hochschulen mit primärqualifizierenden Pflegestudiengängen weniger als 50% der vorhandenen Studienplätze belegt. Nähere Informationen können bei den Verfasser*innen erfragt werden.
Die Hintergründe für diese besorgniserregende Entwicklung liegen nach Einschätzung der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft und des Deutschen Pflegerats in fehlenden bzw. unzureichenden Regelungen des Pflegeberufegesetzes und sollen im Folgenden skizziert werden.
a) Fehlende Vergütung der Praxiseinsätze der Studierenden
Ein wesentlicher Grund für den aufgezeigten Negativtrend bei den Studienplätzen wird in der fehlenden Vergütung der Praxiseinsätze gesehen, die in nahezu ebenso hohem Maße zu leisten sind wie in der berufsfachschulischen Ausbildung1. Während dort jedoch eine Ausbildungsvergütung gezahlt wird, haben die Pflegestudierenden keinen Anspruch auf Entlohnung. Der Umfang der vorgeschriebenen Praxiseinsätze mit zu leistendem Schicht- und Wochenenddienst erschwert zudem die Möglichkeit, nebenbei einer Beschäftigung nachzugehen, wie bei anderen Studierenden oftmals üblich. Vor diesem Hintergrund stellt sich für Studierwillige die Frage, ob sie sich nicht doch besser für eine berufsfachschulische Ausbildung mit gesichertem Einkommen entscheiden sollten.
b) Verhaltene Kooperationsbereitschaft bei Praxispartnern aufgrund fehlender Refinanzierung der Praxisanleitung
Mit der Alleinzuständigkeit der Hochschulen sowohl für die theoretischen als auch für die praktischen Anteile des Pflegestudiums ist die Notwendigkeit verbunden, schriftliche Kooperationsverträge mit Praxispartnern aus dem Gesundheitsbereich zu schließen. Darin müssen sich die Kooperationspartner verpflichten, eine 10%ige Praxisanleitung der Studierenden durch (hochschulisch) qualifizierte Anleiter*innen sicherzustellen. Allerdings erfährt die Praxisanleitung keine Refinanzierung aus dem Ausbildungsfonds. Sie muss von den Einrichtungen selbst finanziert werden – ein Umstand, der von den Pflegeeinrichtungen vielfach kritisiert wird und der die Kooperationsbereitschaft nicht unbedingt fördert.
c) Unzureichende Ausstattung der Hochschulen
Die Errichtung eines primärqualifizierenden Pflegestudiengangs geht für die Hochschulen mit einem erheblichen Investitionsbedarf einher. Der hohe Praxisanteil erfordert eine personelle Aufstockung insbesondere im akademischen Mittelbau für die Koordination der Praxiseinsätze und fachliche Begleitung der Studierenden in ihren Praxiseinsätzen. Ressourcen werden ferner für die Einrichtung und Ausstattung von Skills Labs (Simulationslaboren) benötigt, wo die Studierenden in kleinen Gruppen pflegerische Handlungen einüben und reflektieren können. Bislang erfahren die Hochschulen allerdings nur unzureichende finanzielle Unterstützung bei dem Auf- und Ausbau der Studiengänge.
Um zu verhindern, dass mangels Studierwilliger, fehlender Kooperationspartner und unzureichender Ausstattung der Hochschulen primärqualifizierende Studiengänge wieder eingestellt werden, besteht aus Sicht der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft und des Deutschen Pflegerats folgender dringender Handlungsbedarf:
- Eine Vergütung der Studierenden für die zu leistenden umfangreichen Praxiseinsätze. Der Bundesgesetzgeber wird aufgefordert, die Rahmenbedingungen für ein primärqualifizierendes Pflegestudium mit gleichzeitigem Erhalt der derzeitigen Umlagefinanzierung der praktischen Ausbildungskosten analog dem
Hebammenreformgesetz zu schaffen. Dies ermöglicht eine Integration sowie Anerkennung der intensiven praktischen Ausbildungszeit in das wissenschaftliche Studium und unterstützt somit eine enge Verzahnung von Theorie und Praxis. - Eine Refinanzierung der Praxisanleitung. Um Kooperationspartner in ausreichender Anzahl zu gewinnen und auch kleineren Unternehmen, z.B. aus dem ambulanten Bereich, eine Kooperation zu ermöglichen, darf den Einrichtungen nicht länger die Eigenfinanzierung der Praxisanleitung aufgebürdet werden. Eine Finanzierung der Praxisanleitung sollte über den Ausbildungsfonds erfolgen.
- Eine Unterstützung der Hochschulen für den Auf- und Ausbau primärqualifizierender Pflegestudiengänge. Bund und Länder müssen Bedingungen schaffen, die es den Hochschulen ermöglichen, Studiengänge personell und materiell angemessen auszustatten und weitere, dringend benötigte Studienplätze zu schaffen.
Um eine höhere Akademisierungsquote entsprechend der Zielsetzung der Konzertierten Aktion Pflege und den Empfehlungen des Wissenschaftsrats zu erreichen, müssen Berechnungen zufolge in den nächsten zehn Jahren ca. 10.000 Studienplätze zusätzlich geschaffen werden. Aktuell verringert sich jedoch deren Anzahl in einigen Bundesländern. In Bezug auf die Akademisierung der klinisch Pflegenden lässt die derzeitige Situation nicht den erhofften Aufschwung, sondern vielmehr eine Abwärtsbewegung erkennen. Damit wächst die Gefahr einer weiteren Deprofessionalisierung in der Pflege. Die Deutsche Gesellschaft für Pflegewissenschaft und der Deutsche Pflegerat fordern die Bundesregierung und alle politischen Parteien auf, sich dieser Problematik unverzüglich anzunehmen.
Nicht zuletzt bedarf es der Gründung pflegewissenschaftlicher Fakultäten sowie der Förderung von Kooperationen von Hochschulen für angewandte Wissenschaften und Universitäten (Stichwort: Gesundheitscampus) mit der damit verbundenen Einstellung entsprechender finanzieller Mittel in die Länderhaushalte.
In unterschiedlichen Kliniken habe ich Dualstudenten in der Praxis in Krankenhäusern mit ausgebildet. Es ist auch immer gelungen einen Anteil der Absolventen dauerhaft einstellen zu können. Die Arbeit ist gut und der Vorteil ist, das ein Teil dieser Studienabsolventen und -innen über den üblichen Aufgabenrand hinaus sehen. Diese ist für leitungen bzw. wissenschaftlich praktisches arbeiten sinnvoll. Aber auch hier muss man fair bleiben, nicht alle Studienabsolventen, sind den herkömmlich ausgebildeten Pflegekräften überlegen.
Die Zusammenarbeit der Pflegenden untereinander läuft ohne Probleme und Studierende wurden über die Jahre immer mit den Fachschulabsolventen zusammen in Schülerprpjekten, eigenverantwortlich eingesetzt. Das klappte sehr gut.
Jetzt arbeite ich in einem kleineren Haus und wir würden geren Dualstudierende einstellen, aber ohne Refinanzierung (wie z.B. bei den Hebammen) ist das derzeit nicht möglich. Hebammen bilden wir in Kooperation mit zwei FH aus.
Pflegepersonalmangel ist durch zunehmende, auch finanzierte Pflegestudiengänge, bessere Bezahlung aller Pflegekräfte (+1000,00€) und dann wenn genügend Pflegekräfte da sind, mit interessanten Arbeitszeitkonzepten, deutlich verbessert werden.
Derzeit wird viel gesprochen, in einzelnen Häusern viel getan um über die Mangelbesetzungen über die Runden zu kommen. Die Berufsverbände sind nicht zu hören, die Pflegekräfteorganistaion ist derzeit noch im Aufbau (Kammersystem, mit Ausnahmen). In einigen Monaten ist Wahl und hier haben 2,2 Millionen Pflegekräfte die Möglichkeit, deutliche Forderungen zu stellen. Die Partei die diese erfüllt und klare Zeiträume benennt, könnte die Stimmen der Pflegenden bekommen! Hier können wir noch viel von anderen Staaten und Ländern lernenn.
Eine Schließung der Fakultät muss absolut vermieden werden! Pflege und die dazugehörigen Wissenschaften leisten einen großen Betrag für unsere Gesellschaft.
Diese Statement spricht sehr wichtige Punkte an, die ich als Gründungsprof. primärqualifizierender Pflegestudiengänge an zwei Universitäten nur betonen kann:
a) Wenn für Pflege-Studierende keine „Ausbildungsvergütungen“ gezahlt werden (warum eigentlich nicht?) , dann sollen ihnen wenigstens die Praxisleistungen in derselben Höhe wie für Medizinstudierende vergütet werden. Medizinstudierende bekommen auch keine „Ausbildungsvergütungen“. Aber ihre Praxisleistungen werden vergütet.
Auch ist kein Grund ersichtlich, warum nicht in primärqualifizierenden Pflege- und Therapiestudiengängen dieselben Leistungen zu finanzieren sind wie nach dem Hebammenreformgesertz für das Studium der Hebammenwissenschaft – wobei das Hebammenreformgesetz zahlreiche unbestrittene Bedarfe bekanntlich noch nicht abdeckt.
b) Erstaunlichwerweise kolportiert das gemeinsame Statement von dgp und dpr die Falschaussage, der Wissenschaftsrat habe in den „Empfehlungen des Wissenschaftsrats eine Quote von 10-20 % hochschulischer Qualifikation eines Ausbildungsjahrgangs für sinnvoll erachtet“. Das ist falsch und grenzt an übler Nachrede zu Lasten des Wissenschaftsrates. Wie die zuständige Referentin des Wissenschaftsrates 20I3 klarstellte, wendet sich der Wissenschaftsrat keineswegs gegen eine Vollakademisierung pflegerischer und therapeutischer Berufe, wie sie in der EU und angrenzenden europäischen Ländern weit verbreitet ist und auch in Deutschland vor wenigen Jahrzehnten für ärztliche und zahnmedizinische Berufe üblich wurde. Bevor die entsprechende Präzisierung der zuständigen Referentin des Wissenschaftsrates 20I3 in den Halleschen Beiträgen zu den Gesundheits- und Pflegewissenschaften veröffentlicht wurde, wurde im Wissenschaftsrat jedes Wort auf die Goldwaage gelegt. Umso erstaunlicher ist es, wenn DGP und DGP so tun, als gäbe es diese Präzisierung des Wissenschaftsrates gar nicht. Selbstverständlich sind wir in Deutschland noch weit weg vom Zwischenziel I0 – 20% Studierender der Pflege pro Jahrgang.
c) Zu Recht und freundlicherweise fordern DGP und DPR die „Förderung von Kooperationen von Hochschulen für angewandte Wissenschaften und Universitäten (Stichwort: Gesundheitscampus) mit der damit verbundenen Einstellung entsprechender finanzieller Mittel in die Länderhaushalte“. Solche Kooperationen funktionieren seit vielen Jahren gut in Promotionsstudiengängen und Graduiertenkollegs. Allerdings werden die Promotionsstudiengänge an Universitäten so gut wie gar nicht Personen finanzierend unterstützt. Sie sind, wie das Fachwort lautet, „nicht deputatsrelevant“. Sie sind Leistungen des unentgeltlichen ehrenamtlichen Engagements von Professor*innen. Das ist nicht nur in den Pflege- und Therapiewissenschaften so, sondern in den meisten Promotionsstudiengängen aller Fächer an Universitäten. Sicher ist die Forderungen zu unterstützen, diese Tätigkeiten sollten „deputatsrelevant“ werden. Aber solange sie es nicht sind, ist das kein Grund, sich nicht als Professor*in ‚bürgerschaftlich engagiert‘ unentgeltlich in ihnen mit ganzer Kraft zu engagieren. Das Glück, mit Studierenden und Promovierenden zu arbeiten, ist selbst eine Belohnung.
Die Forderung der „Gründung pflegewissenschaftlicher Fakultäten“könnte dagegen von Praktiker*innen mißverstanden werden und ginge am rechtlichen Kern vorbei: Eine Universität mit bis zu I00 Studiengängen hat nur ganz wenige Fakultäten. An vielen Universitäten sind weder die Rechtswissenschaften, noch die Wirtschaftswissenschaften, noch die Theologie usw. groß genug, um eigene Fakultäten zu bilden. Diese großen Fächer tun sich daher in einer Fakultät zusammen. Die Idee, jedes bedeutende Fach sei eine eigene Fakultät, stieße in diesem Kontext auf Unverständnis. Im rechtlichen Kern geht es für die Pflege- wie auch übrigens für die Therapiewissenschaften vielmehr darum, dass sie weisungsfrei ihr eigenes Budget gemäß Artikel 5 des Grundgesetzes in der Freiheit von Forschung und Lehre einsetzen – in welcher Fakultät auch immer, solange sie keinem anderen Fach berichtspflichtig sind.