Die Deutsche Gesellschaft für Pflegewissenschaft (DGP) begrüßt die Gesetzesinitiative ausdrücklich und dankt für die Möglichkeit der Stellungnahme zum Entwurf des Gesetzes für eine bessere gesundheitliche Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale Versorgung-Gesetz – DVG).

Allgemeine Empfehlungen

Insgesamt wird davon abgeraten, den Begriff Telemedizin formaljuristisch zu verstetigen, und zwar sowohl im Gesetzestext selbst als auch in den ergänzenden Kommentierungen.

Durch die Begriffswahl a) wird der Fokus der telegesundheitlichen Weiterentwicklung auf den Teilbereich Medizin anstatt auf die umfassende gesundheitliche Versorgung gelegt, die durch vielfältige Gesundheitsberufe erbracht wird. Und b) entsteht der Eindruck eines eigenständigen Fachgebietes Telemedizin.

Die Chancen der Digitalisierung in Form innovativer Gesundheitsversorgung aufzugreifen und entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, ist erklärtes Ziel des Gesetzesvorhabens. Es soll sichergestellt werden, dass innovative Lösungen schneller Eingang in die Versorgung finden, um eine qualitativ hochwertige und zugleich wirtschaftliche medizinische
und pflegerische (gesundheitliche) Versorgung jetzt und in Zukunft zu gewährleisten. Weitere zukünftige gesetzgeberische Anpassungen werden demzufolge analog den Anpassungen der Gesundheitsstrukturen zukünftig alle Gesundheitsberufe betreffen. Es wird deshalb dringend empfohlen, die Vielfältigkeit der Gesundheitsberufe und die angestrebte Interdisziplinarität in der Versorgung auch in der gesetzgebenden Sprache darzustellen. Ergänzend hinzu kommen Gründe der Internationalität, z. B. Europaaufgaben. Auch aus diesem Grund erscheint es sinnvoll, die international gängige Form Telehealth (WHO[1]) ins Deutsche zu übertragen und konsequent von Telegesundheit und telegesundheitlichen Methoden, Verfahren, Leistungen oder Behandlungen zu sprechen.  Wir verweisen an dieser Stelle auch auf ein Positionspapier der ärztlichen Kolleginnen und Kollegen. Bereits 2015 rät die Bundesärztekammer (BÄK) davon ab, den Begriff Telemedizin zu verwenden, um den Eindruck eines eigenständigen Fachgebietes zu vermeiden. Sie schlägt stattdessen vor, von telemedizinischen Methoden in der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung zu sprechen (BÄK 2015[2]). Die DGP erweitert die Aussage auf alle Gesundheitsberufe und empfiehlt durchgängig von telegesundheitlichen Methoden und Telegesundheit zu sprechen und diese Begriffe in der Gesetzgebung zu verankern.

Arbeitsweise bei der Vergabe von Forschungsgeld aus dem Innovationsfonds

Wir begrüßen die Fortsetzung des Innovationsfonds und hier im Besonderen die Förderung der Entwicklung bzw. Weiterentwicklung von Leitlinien.

Das geplante Vorgehen bei der Begutachtung und Bewertung von Anträgen erscheint jedoch nicht angemessen. Die geplante Begutachtung durch einen erweiterten Expert*innenpool ist prinzipiell zu begrüßen, allerdings stärkt das vorgeschlagene Vorgehen keineswegs eine neutrale wissenschaftlich fundierte Einschätzung der Anträge:

  1. Anders als bisher, bedarf es keiner Begründung, falls der Innovationsausschuss von einer Empfehlung der Expert*innen abweicht. Damit liegt die alleinige Entscheidung beim Innovationsausschuss, der nicht primär einen wissenschaftlichen Anspruch an die Begutachtung der Anträge hat. Der bereits im bisherigen Verfahren beschränkte Einfluss wissenschaftlicher Expertise wird somit noch weiter reduziert.
  2. Der Expert*innenpool sollte maßgeblich auf Basis der Einschätzung der wissenschaftlichen Güte der Anträge begutachten. Hierbei sollten wie bislang Expert*innen aus unterschiedlichen Professionen (inklusive der Pflegewissenschaft), jedoch mit klar ersichtlicher methodischer Expertise gewählt werden, da die Bewertung der methodischen Güte die Hauptaufgabe des Expert*innenpool sein wird, denn v.a. Validität und Machbarkeit der geplanten Projekte erscheinen nach den bisherigen Erfahrung von besonderer Bedeutung. Sollte sich das methodische Vorgehen als nicht angemessen erweisen, erübrigt sich eine Prüfung der praktischen Relevanz.
  3. Die relevanten Fachgesellschaften sollten maßgeblich bei der Wahl der Gutachter*innen beteiligt sein.
  4. Dass potenzielle Gutachter*innen keine eigenen Anträge stellen dürfen, erscheint angesichts der überschaubaren Gruppe von Versorgungsforschungsexpert*innen in Deutschland kaum zu realisieren. Warum nicht, wie bei anderen Verfahren üblich, die betroffenen Personen von der Begutachtung eigener Anträge bzw. von solchen mit einem deutlichen Interessenkonflikt ausschließen? Es besteht ansonsten die Gefahr, dass einerseits Forschungs-inaktive Gutachter*innen überwiegen bzw. andererseits große Arbeitsgruppe über Stellvertreter*innen Anträge einbringen und somit kleinere Fächer wie die Pflegewissenschaft benachteiligt werden.
  5. Der geplante Einbezug von IQWiG und IQTiG ist zu begrüßen, jedoch wird derzeit nicht klar, in welcher Form dieses zu realisieren ist und welchen Stellenwert die geplanten „Zweitgutachten“ haben sollen. Hier besteht Konkretisierungsbedarf.
  6. Zusammenfassend ist das Vorgehen deutlich transparenter zu gestalten, möglichst mit Bezug zu etablierten Vorgehensweisen wie z.B. im Rahmen der Begutachtung von Anträgen durch das BMBF.

Duisburg, 07. Juni 2019

Prof. Dr. Renate Stemmer

Vorstandsvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft

 

Prof. Dr. Anne Meißner

Sprecherin der Sektion Entwicklung und Folgen von Technik und Informatik in der Pflege (EF-TIP) der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft

[1] WHO: Telehealth. Website. Online verfügbar unter https://www.who.int/sustainable-development/health-sector/strategies/telehealth/en/

[2] Bundesärztekammer (2015): Ärztliche Priorisierung von Einsatzgebieten telemedizinischer Patientenversorgung. Erarbeitet von der AG-Telemedizin und beschlossen vom Vorstand der Bundesärztekammer am 20.03.2015 und vom 118. Deutschen Ärztetag am 15.05.2015. Online verfügbar unter https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/Telemedizin_Telematik/Telemedizin/118-DAET_EVI07_Einsatzgebiete_Telemedizin.pdf.

>>> Download der Stellungnahme